Investoren fordern zunehmend mehr Diversität in Aufsichtsräten und Vorständen
Immer mehr Investoren schreiben sich Diversitätsziele in die Anlagekriterien. Während sie bei ihrem Stimmverhalten zum Teil noch hinter den eigenen Anforderungen zurückbleiben, wird das Thema dennoch dringlicher werden.
Beinahe drei Viertel der 30 einflussreichsten institutionellen Investoren am deutschen Markt forderten 2022 von Unternehmen in ihrem Portfolio Diversität in den Spitzengremien. Das zeigt die Studie „Der Einfluss institutioneller Investoren auf die Diversität in Deutschen Aufsichtsräten und Vorständen – Trendanalyse 2020-2022“ von der Initiative „Investors4Diversity“, die in Kooperation mit der EQS Group, der AllBright Stiftung, ECBE und Mazars entstanden ist.
Die Studie basiert auf der Analyse der 30 wichtigsten institutionellen Investoren und deren Abstimmungsverhalten in 40 Unternehmen, die im in den deutschen Leitindizes DAX und MDAX gelistet sind, darunter Adidas, Deutsche Bank, Eon, Porsche, Siemens, Deutsche Wohnen, Knorr Bremse und RTL. Für die Ermittlung der Top-Investoren stützten sich die Autorinnen und Autoren der Studie auf Daten über die Besitzstruktur von Unternehmen, die von der EQS Group zur Verfügung gestellt wurden, und wählten die 30 Investoren mit den größten Stimmrechtsanteilen aus.
Steigende Ansprüche an Diversität gehen mit mangelnder Unklarheit einher
Die Untersuchung zeigt, wie deutlich der Anspruch der Investoren an Diversität in den vergangenen zwei Jahren gestiegen ist: War es im Pandemiejahr 2020 ein Anlagekriterium für 50 Prozent der Investoren, hatten 2022 schon 73 Prozent der Investoren Diversität in ihren Kriterien festgeschrieben. „Ein Großteil der Investoren präzisiert seine Anforderungen an Geschlechterdiversität mit konkreten Zielwerten und/oder verweist auf nationale gesetzliche Vorgaben“, heißt es in der Studie. Die konkreten Zielwerte variieren, doch viele Investoren orientieren sich dabei an der deutschen Frauenquote von 30 Prozent Frauenanteil in Führungsetagen. JP Morgan schreibt sogar 33 Prozent vor, BNP Paribas und UBS zielen auf 40 Prozent – BNP Paribas bereits im laufenden Kalenderjahr, UBS bis 2025.
Die Autorinnen und Autoren der Analyse bemängeln jedoch mangelnde Klarheit in den Anlagerichtlinien der Top 30 Investoren: Im Hinblick auf den Frauenanteil ist dort meist von „Board“ die Rede, womit unklar bleibt, ob sowohl Aufsichtsrat als auch Vorstand gemeint sind – Erwartungen an den Vorstand definieren die untersuchten Investoren jedenfalls nicht separat.
Auch beim Schritt vom Festschreiben der Anlagekriterien zum praktischen Abstimmungsverhalten zeigen sich die 30 Top Investoren noch etwas zögerlich: Während 46,5 Prozent der Investoren im vergangenen Jahr im Einklang mit ihren Diversitätsanforderungen auf Hauptversammlungen abstimmten, votierten 38,7 Prozent entgegen der Anforderungen, die sie selbst in ihren Anlagekriterien definiert hatten. Die Studie kommt in dieser Hinsicht zu dem Schluss, „dass die untersuchten Investoren ihre Einflussmöglichkeiten für mehr Geschlechterdiversität in Aufsichtsräten in 53,5 Prozent der Fälle der tatsächlichen oder potenziellen Stimmabgaben – und damit zu einem überwiegenden Teil – nicht genutzt haben.“ Auch in punkto Internationalität setzten die Investoren ihre Macht beim Abstimmungsverhalten bisher nicht vollständig ein.
Ursache für Verzögerung der Umsetzung: fehlende Tranparenz
Als einen der Gründe für die zögerliche Realisierung der beschriebenen Anforderungen sehen die Autorinnen und Autoren der Studie mangelnde Transparenz bei den Daten. „Aussagekräftige Daten zum Diversitätsgrad in Beteiligungsunternehmen sind aufgrund wenig bedarfsgerechter Offenlegungspflichten meist kaum verfügbar und können nur mühsam und in Teilen nachrecherchiert werden“, heißt es. Den Investoren wird es dadurch erschwert, Daten zu vergleichen und ihre Anforderungen konsequent durchzusetzen.
Dennoch ist klar: Das Thema wird nicht verschwinden. Und ohne den Einfluss und Druck der Investoren, urteilt die Studie, hätte sich in deutschen Unternehmen bisher weniger bewegt. „Damit sich dieser Trend fortsetzt, müssen Investoren dieses Thema nun konsequent weiter verfolgen“, schreiben die Autorinnen und Autoren. Denn Unternehmen profitieren von Diversität – ganz besonders auch in ihren obersten Führungsetagen und Kontrollgremien. Vielfältige Perspektiven bereichern sowohl die Suche nach Lösungsansätzen in Krisenzeiten als auch die Ausarbeitung von Zukunftsstrategien.
Wichtige Schritte für Investoren und Unternehmen
Die Autorinnen und Autoren geben mehrere Handlungsempfehlungen: Einerseits raten sie Investoren und Stimmrechtsberatern, den kritischen Austausch mit Unternehmen zu suchen, ambitionierte Ziele in ihren Anlagekriterien sowohl für den Aufsichtsrat als auch den Vorstand festzuschreiben und ihre Macht bei den Abstimmungen auch wirklich einzusetzen, um so den Druck zur Veränderung hochzuhalten. Der Bundesregierung legt die Studie nahe, eine Nachschärfung der Gesetzeslage zu prüfen, eventuell Diversitätskonzepte verpflichtend zu machen und über Offenlegungspflichten für Diversitätsdaten nachzudenken. Ferner wird eine Weiterentwicklung des Deutschen Corporate Governance Kodex im Hinblick auf Diversitätsrichtlinien angeregt.
Der wichtigste Rat für Unternehmen lautet, sich schon jetzt mit dem Thema und dessen steigender Wichtigkeit zu beschäftigen. Dazu gehören die Entwicklung eigener Diversitätskonzepte für Aufsichtsrat und Vorstand sowie die oberen Führungsetagen im Unternehmen, die Professionalisierung der Besetzungsprozesse und die Einbeziehung der Maßnahmen und sowie deren Auswertung ins eigene Reporting. Die Studie regt sogar an, aus Gründen der Vergleichbarkeit branchenbezogene Benchmarks zu entwickeln. Denn klar ist: Wer Diversität jetzt proaktiv angeht, muss sich weder vor schärferen gesetzlichen Anforderungen noch vor ambitionierten Investoren fürchten.
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